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„Energiewende gemeinsam meistern“ – auf dem 3. Omexom Technikforum in Würzburg diskutierten Branchenkenner die Herausforderungen der Energiewende

Dass die Energiewende 2020 endgültig zu einer Sache der Vielen geworden ist, ließ sich schon an der schieren Zahl der Interessierten ablesen: 300 Teilnehmer_innen – so viele wie nie – hatten sich zur dritten Ausgabe des zweijährigen Formats am 12. und 13. Februar zusammengefunden. Prof. Dr. Jutta Hanson (TU Darmstadt) und Prof. Dr. Stefan Tenbolen (Universität Stuttgart) übernahmen – wie schon 2018 – die wissenschaftliche Leitung der Tagung und führten durchs Programm.

Wie kriegen wir Komplexität geregelt?
Das Deutsche Energienetz steht vor riesigen Herausforderungen: Kern- und Kohlekraftwerke werden vom Netz genommen. An deren Stellen treten viele Millionen Einspeisepunkte wie Windparks, Photovoltaik- und Biogasanlagen, Blockheizkraftwerke, nicht zu vergessen die wachsende Zahl der Elektrofahrzeuge, die dereinst nicht nur Energie tanken, sondern auch ins Netz speisen werden. Wie bekommt man dieses neue, dezentrale, ungeheuer komplexe Netz aus „Prosumenten“ stabil geregelt – in Sturmzeiten, bei Windstille, bei Teilausfällen? Uwe Winkler (Omexom) führte in seiner Eröffnungsrede auf das Kernthema des Omexom Technikforums hin: „Viele unterschiedliche Player müssen gemeinsam an diesem Werk arbeiten.“

Flexibilitäten optimal steuern
Doch wenn der Netzausbau weiter dem Bedarf hinterherhinkt? Dann muss man eben „Intelligenz in die Netze packen“, sagt Dr. Joachim Schneider (Innogy). Das beginnt mit einer Digitalisierung der Verteilnetze. Anhand des Projekts „Designnetz“ zeigt er, wie viele kleine dezentrale Energieanlagen in einem einzigen riesigen Datensystem zusammengeführt werden können. Stadtwerke, Handelspartner und die Wissenschaft arbeiten an diesem Steuerungssystem länderübergreifend zusammen.

Weiter hart am „Schwarzfall“ vorbei?
Dichter an den aktuellen Herausforderungen bewegt sich Prof. Dr. Krysztof Rudion (Universität Stuttgart). Problem: Da eine verlässliche „State Estimation“ bislang fehlt, werden Verteilnetze vielfach „im Blindflug“ gesteuert. Dass es bisher noch keinen „Schwarzfall“ gegeben hat, täuscht die Öffentlichkeit darüber hinweg, wie haarscharf an der Kante die Netze manchmal gefahren werden. Er fordert die Festlegung von Fahrplänen zwischen den Netzebenen und zeigt auf, wie die Netzbeobachtung unter den gegebenen Bedingungen verbessert werden kann.

Die offene Flanke schließen
Rudion sieht aber auch neue Geschäftsfelder rund um Smart-Meter- und Smart-Grids-Lösungen entstehen, die eine sichere Zustandsschätzung im Netzbetrieb ermöglichen. Dr. Jürgen Tusch (Innogy) stellte die Bedeutung schwarzfallsicherer Kommunikation heraus: „Wir verlassen uns in der Mittelspannung auf die TK-Dienste, die sich auf uns verlassen.“ Tusch sieht das LTE 450 Funknetz als mögliche Basis für eine sichere, d.h. schwarzfallfeste Sprach- und Datenkommunikation im Netzbetrieb, insbesondere zur Steuerung von Erneuerbaren in der Mittelspannung sowie zur Betriebskommunikation.

Steuersysteme und Blindleistungsreserven
Und wie sieht es bei den Übertragungsnetzen aus? Der Ausstieg aus der Kohleverstromung, so Dr. Frank Golletz (50Hertz Transmission), hat massive Auswirkungen. Dass Deutschland dabei vom Stromexporteur zum Importeur wird birgt die Gefahr von Abhängigkeiten. Ein weiteres Problem liegt im Wegfall von Blindleistung aus rotierenden Massen, der das Übertragungsnetz destabilisiert. Das neue masselose, hoch ausgelastete Netz erfordert schnell reagierende Steuersysteme sowie massive Investitionen in zusätzliche regelbare Blindleistung.

Nachfragesteuerung vor Kapazitätsausbau
Auch im Verteilnetzbereich bleiben viele Baustellen zu bearbeiten. „Wir werden lernen müssen, dass wir in einem völlig volatilen System andere Regeln brauchen“, sagt Thomas Schäfer (Stromnetz Berlin) in der Podiumsdiskussion gegen Ende des ersten Forumstags. Berlin als größter Infrastrukturnetzbetreiber Europas (nach dem Brexit) arbeitet sich ans Ziel eines smarten, fernsteuerbaren MS-Netzes heran, dessen Kapazität sich beim vollen Durchschlag der E-Mobilität sogar verdoppeln wird. Ziel ist, den Kapazitätsausbau durch bessere Nachfragesteuerung so effizient wie möglich zu gestalten und gleichzeitig das Netz an den wachsenden Bedarf der Elektromobilität optimal anzupassen.

Geschäftsfelder mit Potential über Jahrzehnte
Dass sich die Stadtwerke dabei „vom Versorger zum digitalen Umsorger“ wandeln, pointiert Franz Schulte (Thüga Smart Service) und sieht auch das Internet of Things in diesen Prozess integriert. Claus Flore (ZEAG Energie AG) demonstriert anhand einer Quartierslösung in Heilbronn, wie eine vorausschauend konzipierte digitale 360-Grad-Lösung inklusive E-Mobility-Infrastruktur aussehen könnte. Wunschziel wäre eine Planung, die sämtliche Energieformen inklusive Gas, Wasserstoff, Wasser, Wärme und Datenverkehr integriert – Albrecht Reuter (Fichtner IT Consulting) sieht hier die attraktiven Baustellen für künftige Infrastrukturprojekte. Ihr Gewinn liegt im systemischen Betrieb für Jahrzehnte.

Neues von AC/DC
Allgemeines Statement auf dem Omexom Technikforum 2020: Ohne umfassenden Netzausbau geht es nicht, und der hinkt dem Bedarf immer noch hinterher. Wobei die Technik nicht das Problem ist, wie Prof. Dr. Stephan Pöhler (TenneT) und Prof. Dr. Jutta Hanson (TU Darmstadt) in ihren Beiträgen zum Stand der aktuellen Höchstspannungs-Übertragungstechnik ausführten. Während Pöhler sich für den „Südlink“ mehr HVDC-Kabelführungen per Freileitungen wünscht – der Gesetzgeber fordert deren Erdverlegung –, beleuchtet Hanson die Potentiale von Drehstromkabeln im Höchstspannungsnetz. „Wir Techniker kriegen die Energiewende hin“, und doch geht ihr der ganze Prozess zu langsam.

„Woher kommt dieser Wahnsinn?“
Nach Klaus Wewering (Amprion) liegt das auch an mangelnder Akzeptanz vor Ort. Da wachsen Häuser an eine Stromtrasse heran, deren Bewohner sich zu ängstlich erweisen, um auch nur die Erhöhung dreier Masten zugunsten einer DC-Bestückung zuzulassen. Am Ende erscheint es opportuner, ein ganzes Waldstück zugunsten einer Umgehung abzuholzen. „Woher kommt dieser Wahnsinn?“ Denn auch der umgekehrte Fall gilt: Lösungen, die alle vor Ort zufriedenstellen, sind nicht automatisch auch genehmigungsfähig, selbst wenn sie den Geboten der Wirtschaftlichkeit entsprechen, die bestehende Kapazitäten erhöhen und die Bauzeit halbieren würden.

Die Politik muss den Netzausbau kommunizieren
Wenn 89 Prozent der Bevölkerung die Energiewende begrüßen, ihre Umsetzung vor Ort aber ablehnen, so hat das mit fehlendem Vertrauen zu tun. Den Grund dafür sieht Dr. Werner Götz (Transnet BW) in der Tatsache, dass die Umsetzung der Energiewende nicht einheitlich und überzeugend kommuniziert werde. „Die Politik muss den Netzausbau als zwingende Erfordernis erkennen und unterstützen. Denn insbesondere die Landes- und Kommunalpolitik kann dazu beitragen Vertrauen beim Bürger zu gewinnen und zu überzeugen.“

Bloß keine Ladepanik!
Herausforderung Komplexität: Sie nimmt weiter zu, wenn sich die Elektrifizierung der Mobilität wie prognostiziert durchsetzt. Dr. Martin Konermanns (Netze BW) Vortrag über „Praxiserfahrungen E-Mobilität“ zeichnet ein positives Bild. Sieben bis zehn Millionen Elektrofahrzeuge in 2030 seien realistisch. Aber die Reichweiten? Und was, wenn alle gleichzeitig laden? Ängste wie diese konnte Konermann anhand der Ergebnisse einer Langzeitstudie mit zehn Teilnehmenden in der Nähe von Stuttgart zerstreuen. Die Ladepanik wird im Alltag, bei dichterem Ladesäulennetz und cleverem Lademanagement nachlassen, ist sich Konermann sicher. Auch ergab der Versuch, dass höchstens 50 Prozent der Fahrzeuge gleichzeitig an den Ladesäulen standen. Keine Angst also vorm Feierabend-Infarkt in Elektromobil-City.

Auch der ÖPNV ist auf der Spur
Auf digitales Lademanagement setzt auch Ulrich Aschenbroich (ABB) in seinem Vortrag über die aktuelle Technik bei Busladestationen. Vorheizen und Aufladen im Depot werden mit Zwischenlademöglichkeiten unterwegs und am Endhalt zu einer (auch im Winter) alltagsfesten Sache. Wie gut das sogar in großem Reichweitenmaßstab funktioniert, belegt Abschlussredner Wolfgang Hackauf (Ebusco) am eigenen Beispiel. Er war mit einem Elektrobus aus der Eigenproduktion seines Startups aus Holland angereist und führte überzeugend aus, dass ein kompletter Umstieg des Busverkehrs im ÖPNV längst keine Vision mehr ist.

Zielgruppe Mensch, Aktionsfeld Omexom
Digitalisierung, Automatisierung, Energiemanagement – das klingt so, als würde alles von alleine laufen, wenn erst mal die richtigen Algorithmen programmiert sind. Dass es so mitnichten kommt, stellt Frank Westphal (VINCI Energies) in seiner Note zum Abschluss des ersten Tagesabschnitts heraus. Westphal charakterisierte „VINCI Energies mit Omexom als Wegbereiter der Energiewende“ und machte deutlich: Omexom ist eine „reine Peoples Company“. Es geht ihr darum, die Digitalisierung zu kommunizieren, Menschen mitzunehmen. Dass VINCI Energies mehr junge Leute ausbildet als jedes Dax-Unternehmen, liegt also in der Logik der Sache. Trassen planen, Masten errichten, Gräben ziehen, Leitungen verlegen, Umspannwerke bauen – einer muss es machen.